anonym
Selber aus einer (deutschen) Wintersportgegend kommend, war für mich klar: Menschen, die Jacken der Dinosaurierskelett-Marke, der «Stimme der Berge» oder von Patagucci am durchtrainierten Leib tragen, verbringen mindestens hundert Tage im Jahr auf Skiern – die Pros also, für die sich das finanziell auch lohnt und die entsprechende skifah- rerische Fertigkeiten an den Tag legen.
Und dann stehst du irgendwo auf einem Gletscher bei Laax, Pontresina oder Zermatt und dir wird klar: Die Schweizer Uhren ticken anders (und kosten mehr). Die Schweizer Bevölkerung oder die in der Schweiz residierenden Gutverdienenden spa- ren nicht bei der Ausrüstung, da darf es nur das Beste vom Besten, das Neuste vom Neusten sein. Das erweckt den Eindruck, man könne das sport- liche Talent gleich mitkaufen. Wenn dann so ein 5 000-Franken-am-Körper-tragender Schneepflug die Skipiste runterrutscht, fragt man sich: Ist das ein guter Markenbotschafter? Oder sollten sie der Person lieber etwas zahlen, damit sie die Klamot- ten der Konkurrenz auf der Piste zur Schau stellt?
Ottos und Ottilies Preisklasse
Aber die Leute können oft gar nicht anders. Schau dich im Sportgeschäft deines Vertrauens mal um: Wo ist die günstige Preisklasse? Das Zeug, das sich im Ausland Herr und Frau Otto- und Ot- tilie-Normalverbraucher*in zulegen, die im Winter maximal zehn Mal mit ihrem ganzen Kinderan- hang den Berg runterkurven und am liebsten schon um 10 in der Früh zum Après-Ski gehen? So- was gibt es hier anscheinend nicht. Otto und Ot- tilie heissen hier Urs und Ursina, und können sich Die Schweiz ist ein reiches Land. Reich an schöner Land- schaft, reich an Schnee – und reich an Menschen mit gutem Einkommen. Wo du das als Ausländerin merkst? Beim Skifahren zum Beispiel. anonym einfach nichts Billiges kaufen. Gibt es nicht. Musst du im Ausland bestellen und wenn du dann Pech hast, knöpft dir der Zoll noch ein Heidengeld für die Einfuhr ab. Oder zumindest dachte ich am Anfang, das wäre ein Heidengeld.
Wahrnehmungsverschiebung
Seit ich in der Schweiz wohne, veränder- te sich meine Wahrnehmung von Hunderter- beträgen deutlich. Da wirst du zur Kapitalistin, ohne dass du es merkst – ganz schleichend fing ich an, immer mehr auszugeben. Konsum macht anscheinend doch glücklich. Wäre da nicht das schlechte Gewissen, dass sich einstellt, wenn du gründlich nachdenkst oder dir irgend- wann den Spiegel vorhältst. Das passiert spä- testens, wenn du den Heimweg hinter die sieben Berge antrittst. Wenn dir die beste Freundin sagt, dass 40 Franken Eintritt für eine Kletterhalle blan- ker Wucher sind, und dir klar wird, dass du damals, in den guten alten Zeiten, nie im Leben irgendwo eingekehrt wärst, um so ein Skigebiet auch noch zu unterstützen. Die Brotzeit hat die knausrige Bergsportlerin im Rucksack und beim Skifahren isst sie auf dem Lift, um ja nicht eine Minute der kost- baren Zeit zu verschwenden. Und wie froh ich ei- gentlich während Corona war, als alle Restaurants geschlossen hatten und ich nicht dem Gruppen- zwang ausgesetzt war, für 35 Franken einen Kai- serschmarrn zu bestellen. Ein wenig geizig bin ich bei sowas dann schon, zugegeben.
Die guten alten Klischees. Aber das Gute am Schweizer Einkommen ist, dass du dich selbst mit einem mickrigen PhD-Gehalt zumindest im Ausland wie Krösus fühlen kannst. Denn was ist wohl die erste Assoziation, die Ausländer*innen von der Schweiz haben? «Reich», höre ich oft – und «Banken». Stimmt ja auch, und am Ende nehme ich auch gern die Witze in Kauf: ob ich tagtäglich damit beschäftigt sei, Geld von A nach B zu schau- feln. Natürlich, und dann zahl ich die Rechnung, indem ich meinen Goldbarren hervorhole und mit der Käsereibe ein bisschen was abhoble.
Anonyme Autorin,
hat jetzt auch einen Rucksack mit Dinosaurierskelett
drauf – gab’s auf Ricardo, der ehemalige Besitzer hat
sich beim Skifahren beide Arme gebrochen.