Von Julia Kamml
Meine Familie war immer eher Öko – mehr Fraktion Holzspielzeug als Xbox. Da fragst du dich als Erwachsene natürlich schon manchmal: Den pädagogischen Sinn einer guten Partie Counter Strike – haben meine Eltern den unterschätzt?
Computerspiele und Konsolen hat es in meiner Kindheit nur bei den Nachbarn gegeben, nicht mal ein Gameboy wurde mir gegönnt. Einzig in den Sommerferien, da durfte ich den meines Cousins ausleihen. Der hatte aber – meiner bescheidenen Meinung nach – unter all dem Pokémon-Zeug nur ein gutes Spiel: Super Mario Land 1. Zwei Wochen zocken, bis ich alle Levels durchhatte – es war ein Battle mit meiner besten Freundin. Die hatte das gleiche Spiel auf dem Schulflohmarkt gekauft und hing auch nur am Gameboy. Ja, wir waren süchtig. Aber wieso gerade dieses Spiel? Jump-and-Run, ganz ehrlich, das kommt meinem Leben schon oft nahe. Immer im Stress, zehnmal springen, neunmal runterfallen. Und hier stellt sich die Frage, sagt diese Vorliebe etwas über meine Persönlichkeit aus?
Das Game als Wegweiser
Nun ja, in der Primarschule hatte ich Kolleginnen, die liessen Tamagotchis sterben (heute alle Mütter), die anderen trieben ihre Sims in den Wahnsinn (heute Psychologinnen), eine liebte Mario Kart (spätere Landesmeisterin im Go- Kart) und wieder andere spielten mit ihren älteren Brüdern Counter Strike (heute Fallschirmjäger bei einem privaten Söldnerheer). Und mein Professor, der mochte Flugsimulatoren (ein echter Überflieger). Ich stehe eben auf Jump-and-Run. Was aber alle eint: Du musst dranbleiben, wenn du etwas erreichen willst – und auch akzeptieren können, wenn es nicht läuft. Jede*r kann sich an die Kinder erinnern, die wütend aus dem Zimmer gerannt sind oder irgendwelche Controller auf dem Boden zertrümmern wollten, wenn sie nicht gewonnen hatten. Das findest du als Kind schon zum Fremdschämen und wahrscheinlich ist ihnen diese Episode ihres Lebens heute selbst peinlich.
Scheitern und Aufstehen im echten Leben
Da bleibt dir nur zu hoffen, dass sie heute besser verlieren können, es gelassener einstecken – aber dann auch weitermachen. Super Mario steht schliesslich auch nach jedem Game Over wieder auf der Matte und startet nochmals von vorn. In einem ach so tollen Lebenslauf macht sich so ein Scheitern schliesslich auch nur dann gut, wenn es danach wieder bergauf geht – keiner wünscht sich, dass da am Ende Sozialhilfeempfänger*in steht, sondern ETH-Professor*in. Das ist aber vielleicht ein bisschen gar dramatisch.
Scheitern kannst du natürlich auch schon im Kleinen und das jeden Tag. Ganz ehrlich, die meiste Zeit ist es doch einfach unmöglich alles zu schaffen, was du dir vorgenommen hast in diesem perfekten, selbst-optimierten Leben: zu spät aus dem Bett gekommen, Beine nicht rasiert, alles mal wieder auf den letzten Drücker erledigt, zu wenig Sport gemacht, zu viel Schokolade gegessen, Prüfung nicht bestanden, Freund*innen nicht angerufen, zum Abendessen wieder nur Pizza, danach zu lange Netflix. Das hat doch Parallelen mit Super Mario, du springst, du fällst runter, fängst nochmal an, fällst wieder – irgendwann vielleicht zu oft – und dann, dann musst du eben wieder von vorne anfangen. Gescheitert an den eigenen Ansprüchen, mühsam ist das, aber was kannst du ändern? Ich persönlich halte es da wie Samuel Beckett: «Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.»
Julia Kamml, 32, stellt sich immer öfter die Frage, ob sie mit ihrem PhD in einer Forschungsgruppe, die «Computational» im Namen trägt, irgendwelche Versäumnisse aus der Kindheit kompensieren muss …