Dr. Sascha Quanz ist Professor und stellvertretender Leiter im Institut für Teilchen- und Astrophysik. In einem Interview erzählt er von seiner Karriere, die über Consulting zurück zur Akademie geführt hat, von den Problemen im Schulsystem, und vom Leben, sowohl auf unserem Planeten als auch auf anderen.
L: Sie haben zwei Jahre lang Consulting gemacht und sind dann zurück zur Academia. Können Sie erklären, wieso?
Q: Total bescheuert, ich weiß, das haben viele damals auch gesagt!
Während des Studiums habe ich mal einen Internship bei McKinsey und Company machen können und danach direkt ein Angebot bekommen. Dann stand ich vor der Entscheidung: mache ich noch ein Doktorat oder nicht? Ich hatte das Gefühl, dass ich noch nie so richtig Forschung gemacht hatte. Ich habe mich also entschieden, doch noch ein Doktorat zu machen, drei Jahre tief in die Astrophysik zu gehen. Aber ich bin mit McKinsey die ganze Zeit in Kontakt geblieben. Nach der Promotion habe ich wieder ein Angebot bekommen und mich dann relativ schnell dafür entschieden, es anzunehmen.
Es gab zwei Gründe. Erstens: Ich war mein Leben lang an Schulen und Unis und Forschungsinstituten gewesen und es war eine Chance, wirklich eine andere Welt zu entdecken. Ausserdem muss ich auch sagen, dass es damals in der Forschungswelt Sachen gab, die ich schwierig fand und mir nicht gefielen. Viele davon finde ich heute noch schwierig und gefallen mir nicht.
Ich bin also ungefähr zwei Jahre bei McKinsey gewesen. Es war super anstrengend, aber unter dem Strich eine sehr gute Erfahrung. Was ich dort sehr gut finde, ist, dass man drei, vier Monate an einem Projekt arbeitete und dann zum nächsten ging. So hat man die Möglichkeit, in ganz verschiedene Bereiche und Firmen hineinzuschauen. Was ist da jeweils die Kultur, wie wird geführt, was sind die Probleme? Das fand ich unglaublich bereichernd. Und ich fand auch gut, dass ich das aussuchen konnte, was ich tun wollte.
Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass mein ursprünglicher Masterplan war, etwas mit Raumfahrt zu machen. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass es bei McKinsey Klienten aus dem Raumfahrtbereich gab. Das war aber nicht wirklich der Fall. Damals war Raumfahrt immer noch sehr staatlich betrieben. Das heisst, es gab sehr wenig Beratungsbedarf. Ich konnte also meinen wissenschaftlichen Hintergrund mit Management im Raumfahrtbereich nicht zusammenbringen.
Dann wusste ich, dass ich wieder zurück wollte. Irgendwas mit Space an der Uni, und dann auch wirklich nur an einer guten Uni, wo man Möglichkeiten hat, in grosse Projekte hineinzukommen. Der einzige Grund, warum ich in Zürich gelandet bin, ist, dass meine heutige Frau ein Angebot für ein Jahr im Kinderspital bekommen hat. Ich arbeitete noch bei McKinsey und bin immer hin und her gereist. Dann ist ihr Vertrag verlängert worden. Und wirklich zufällig, in dieser Zeit, wo ich überlegt habe, wieder etwas anderes zu machen, gab es hier eine Forschungsgruppe im alten Astronomieinstitut, die etwas in der Richtung gemacht hat, worin ich damals promoviert hatte. Ich habe mich beworben und war dann der erste Postdoc. So bin ich an die ETH gekommen. Ich bin meiner Leidenschaft gefolgt.
L: Aber warum Raumfahrt? Warum Space?
Q: Kann ich nicht sagen. Die Sachen, die wir erforschen – Planeten, andere Sterne – das hat ja auch mit Raumfahrt zu tun, mit dem, was da draussen ist. Das war schon immer in mir drin. Ich habe als Kind schon diese ganzen Bücher über Raumfahrt und Weltall gelesen. Meine Eltern hatten wirklich gar nichts mit Raumfahrt oder Physik zu tun. Man erzählt ja immer solche Geschichten aus der Kindheit, aber es war wirklich so. Als ich zum Studium ging, musste ich dann überlegen, ob ich Luft- und Raumfahrttechnik oder Physik studieren sollte, und habe mich dann für die wissenschaftliche Seite entschieden. Ich habe einen Onkel, der bei der Europäischen Raumfahrtagentur gearbeitet hat. Vielleicht war das ein Träger.
Was mich immer an der Raumfahrt fasziniert hat, ist dieses Grenzenlose. Kann man die Grenzen verschieben? Was ist da draussen? Was können wir als Menschheit leisten? Das Internationale habe ich auch sehr spannend gefunden. Ich habe ein Praktikum bei der ESA gemacht und da sass ich auf dem Korridor mit den ganzen Astronauten. Da waren Leute aus UK und Portugal und Schweden, und wir haben uns alle mit Technologien für Space beschäftigt.
Ich habe auch die wissenschaftliche Schiene eingeschlagen, weil es in mir eine gewisse Neugier gibt, Dinge da draussen zu verstehen. Wenn andere mir helfen können, Raumschiffe oder Satelliten zu bauen, dann ist das cool, aber ich muss sie nicht selber bauen, ich möchte sie nur benutzen.
L: Haben Sie sich nie überlegt, selber ins All zu gehen?
Q: Doch! Absolut! Ich war nicht bei der letzten Auswahl von Astronauten dabei. Da wurde der Schweizer Kollege ausgewählt. Letztes Jahr gab es so eine Astronautenauswahlrunde, europaweit. Aber die Letzte davor war vor knapp zehn Jahren. Da war ich dabei!
Wirklich?!
Q: Ja, ich habe mich beworben! Ich war auch bei den ersten Auswahltests. Aber irgendwann bin ich rausgeflogen. Sie haben auch nicht gesagt, warum. Ich habe nachgefragt.
Es war am Anfang schon ein bisschen schade, aber mittlerweile bin ich da ganz okay. Mein Schwiegervater meinte einmal: “Astronauten sind doch total langweilig. Es ist sowieso nicht so wie im Film. Du kriegst jeden Tag eine Liste, wo genau draufsteht, was du zu tun hast und wann. Du machst nur Sachen für andere Leute.” Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Stimmt das nicht? Man macht nicht die eigenen Experimente. Man ist nicht Herr oder Frau seiner Zeit. Nein, man macht die Sachen, die einem die Bodenstation sagt. Das fand ich sehr nüchtern. Diese ganze Adventures und Romantik von Raumfahrt verklärt. Jetzt bei der letzten Auswahl habe ich mich also nicht beworben. Ich habe nicht mehr den Drang gespürt.
L: Wenn es um Astrophysik geht, wird oft sehr skeptisch gefragt: Was ist überhaupt der Punkt? Ist das nicht einfach Geldverschwendung?
Q: Ich glaube bei uns in der Gruppe sind wir durch eine fundamentale Frage getrieben: Sind wir alleine im Universum? Das ist eine Frage, die astrophysikalische Messungen benötigt. Wenn man sich überlegt: Gibt es Leben da draussen auf anderen Planeten, die nicht in unserem Sonnensystem kreisen, sondern auf diesen Exoplaneten, die wir erforschen wollen? Momentan ist die einzige Chance, das herauszufinden, mit einer Art Teleskop und mit grossen Raumfahrtmissionen. Wir können noch nicht hinfliegen. Ich würde nicht sagen, dass das nicht möglich sein wird. Aber momentan ist diese einzige Möglichkeit das, was uns treibt. Ich glaube, das ist eine fundamental wichtige Frage, die eben nicht nur eine Frage der Astrophysik ist, sondern Implikationen für viele Bereiche – Philosophie, Religion, Ethik, Soziologie – hat. Sie hat auch eine gewisse Bedeutung dafür, wie wir uns selber als Menschheit verstehen.
Diese Frage ist auch sehr interessant für die allgemeine Bevölkerung. Auch bei Schülerinnen und Schülern hat es einen hohen Stellenwert. Ich habe schon sehr viele frustrierende Gespräche mit jüngeren Leuten gehabt, die dann sagen: “Ja, diese Mission ist doch viel zu lange und kostet auch viel zu viel und das klappt doch nie mit der ESA.” Ich finde das unglaublich schade, dass man gar nicht mehr glaubt, dass man so etwas erreichen kann. Deswegen hoffe ich, dass wir mit solchen Beispielen zeigen können, dass man die “Let’s try it! Let’s do it!” – Mentalität haben soll. Kolleginnen und Kollegen aus den USA sind immer sehr pushy und bold, was in Europa eher weniger der Fall ist. Deswegen glaube ich auch, dass solche Visionen hilfreich sind, auch um zu zeigen, dass man diese Ambitionen auch in Europa haben kann. Und ja, vielleicht funktioniert es nicht, aber immerhin haben wir es probiert und wir haben uns nichts vorzuwerfen.
Was die Kosten angeht: Missionen und Raumfahrt kosten viel, objektiv gesehen. Aber ich habe mal so Zahlen herausgesucht, wie viel Geld in der Schweiz für Tabak und Alkohol ausgegeben wird. Oder auch wie viel Geld für Tierfutter und Haustiere ausgegeben wird. Ich möchte das alles gar nicht kritisieren. Aber wenn man es in Relation setzt, ist es verschwindend gering, was wir für Raummissionen brauchen. Wir müssen gar nicht erst mit Armee und Krieg anfangen. Ausserdem denke ich, dass gerade die Raumfahrt und diese Art von Forschung unglaublich viele Kräfte und Kreativität freisetzen kann.
Die Leute, die bei uns mitmachen, werden natürlich nicht alle später in dieser Mission arbeiten und Forschende werden. Space und Astrophysik sind ein wichtiger Magnet für junge Leute für Engineering, Wissenschaft usw. Das ist ein Katalysator. Wenn wir den abstellen, schneiden wir uns langfristig ins eigene Fleisch. Denn wir brauchen diese Ingenieure und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um andere Probleme dieser Welt zu lösen.
L: Wie viele Planeten existieren, wo es hypothetisch das Leben gibt oder geben könnte?
Q: Das wissen wir nicht so genau. Der Kollege Queloz hat zusammen mit seinem Doktorvater 1995 den ersten Exoplaneten gefunden. Mittlerweile kennen wir über 5500. Aber die wenigsten davon sind so gross wie die Erde und haben den gleichen Abstand zu ihrem Stern. Grössere Planeten, die schwerer oder näher an ihrem Stern sind, sind einfacher zu finden. Die Detektionsmethoden, die wir verwenden, haben einen Bias dafür. Trotzdem gab es Missionen, gerade von der NASA, die uns erlauben, Aussagen darüber zu treffen, wie häufig so ein erdähnlicher Planet vorkommen kann. Die Unsicherheiten sind dann sehr gross, aber das hilft einem schon. Man kann dann sagen, vielleicht haben 10 oder 15% der Sterne einen erdähnlichen Planeten, vielleicht sind es 30 oder 50%. Man weiss auch, dass nahezu jeder Stern mindestens einen Planeten hat. Ganz witzig, Proxima Centauri, unser unmittelbarer kosmischer Nachbar, der aber immer noch 1.3 Parsec (oder vier Lichtjahre) entfernt ist, hat einen erdähnlichen Planeten mit ungefähr derselben Temperatur wie die Erde. Den können wir aber noch nicht analysieren, weil wir noch keine Technik haben, uns das anzuschauen. Statistisch gesehen spricht vieles dafür, dass es viele von diesen Planeten gibt. Vielleicht nicht jeder, aber zumindest mindestens jeder Zehnte, vielleicht auch jeder Fünfte könnte erdähnlich sein. Damit kann man schon mal arbeiten.
Man muss einfach nur sicherstellen, dass eine geplante Mission es einem erlaubt, auch im Worst Case, genug von diesen Planeten aufzusammeln. Wir schauen uns ausserdem wirklich nur die Nachbarschaft der Sonne an. Wir gehen jetzt nicht in andere Galaxien. Alle Sterne kennen wir eigentlich schon. Es gibt Kataloge, sie haben Namen, man kann sie mit dem nackten Auge am Himmel sehen. Und in 20 Jahren kann man dann sagen: Schau mal, das ist nicht nur ein Stern, sondern der hat auch einen Planeten mit einer Biosignatur und der Stern aber nicht.
L: Es gab in den letzten paar Jahren so viele Releases über UFOs. Ist irgendwas davon glaubwürdig für Sie?
Q: Ich glaube, dass das Wichtigste daran ist, dass man jetzt offen darüber diskutiert, um genau diese Frage zu stellen. Die NASA hat da etwas ganz Geschicktes gemacht. Sie reagieren jetzt sehr offensiv, damit es aus dieser mysteriösen Ecke herauskommt und sagen: “Lasst uns gute wissenschaftliche Techniken anwenden und schauen, ob was dran ist oder nicht.” Mein Verständnis ist, dass von diesen vielen Informationen oder Sichtungen man die allergrößte Mehrheit wirklich mit irgendwelchen anderen Dingen gut erklären kann. Es gibt einen Rest, wo man einfach noch nicht weiss, was es ist. Das heisst aber nicht, dass das Aliens sein müssen. Es gibt einen schönen Spruch: “Aussergewöhnliche Behauptungen erfordern aussergewöhnliche Beweise.” Bevor man das heranzieht, da braucht es noch ein bisschen mehr.
L: Kann man aber der breiten Öffentlichkeit so was erklären – oder im Allgemeinen komplexe Konzepte, die ein bisschen kritisches und logisches Denken erfordern?
Q: Absolut. Wenn wir es nicht probieren, haben wir schon verloren. Wir müssen aus dem Elfenbeinturm heraus und wirklich offen diskutieren. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir in der heutigen Zeit, wo so viel Fake News und Alternative Facts herumlaufen, eine Katastrophe. Wenn man Nachrichten schaut, denkt man sich schon manchmal: “Also, seriously? Echt jetzt?” Aber die Antwort darauf kann nicht sein, dass wir aufgeben. Ganz im Gegenteil, wir müssen mehr tun und mehr erklären, wie wir Sachen machen. Wir sollten alle, die in diesen Bereichen arbeiten – nicht nur Professorinnen und Professoren, auch Leute in der Gruppe, Studierende – immer wieder die Öffentlichkeit daran erinnern, dass es gute wissenschaftliche Praxis gibt, wie man mit Daten und Analysen umgeht, dass man nicht alles glauben muss, dass man Sachen hinterfragen kann, und dass im Internet nicht alles stimmt.
Es gibt Alltagsdinge, wo die Leute gar nicht mehr wahrnehmen, dass da das Naturwissenschaftliche steckt. Zum Beispiel Handy, Funkwellen. Das ist Elektromagnetismus mit Strahlen. Wir müssen also versuchen mit einem Wohlwollen, mit positiven Ansatz, diese Sachen einfach zu erklären. Mit Geduld und immer wieder. Das ist wichtig.
L: Ich habe gesehen, dass Sie ein Outreach-Event für Kinder gemacht haben: Traumberuf Forscher. Was war das Take-Away?
Q: Dieses Event war eines der besten Dinge, die ich je gemacht habe. Mein Take-Away war, dass wir ein Riesenproblem in unserem System haben. Die Kinder waren alle zwischen sechs und zehn. Mit Jungs und Mädels gemischt, übrigens. Das war das erste, was mir wichtig war. Das zweite war, dass sie so interessiert und neugierig und kreativ waren. Das hat mich extrem, extrem fasziniert. Ich habe ihnen gesagt: “Als Forscher, da stellt man sich Fragen und möchte sie dann beantworten. Was habt ihr denn so für Fragen?” Da kamen fantastische Fragen wirklich aus dem Nichts heraus. Sie haben das nicht vorbereitet.
Wie zum Beispiel: “Wo kommen denn die Kieselsteine am Zürichsee her?” Eine weitere war: “Was ist Wind?” Und einer hat darauf geantwortet: “Wind ist Luft, die es eilig hat”. Man steht dann da vorne und wundert sich. Wir schaffen es dann im Schulsystem und auch an der Uni, das alles heraus zu prügeln. Der Fokus ist viel mehr auf aus meiner Sicht zu sekundäre Sachen gerichtet, anstatt dass wir die Kreativität und Neugier der Menschen fördern und Raum dafür geben. Denn letztendlich braucht es genau das, um weiterhin Sachen zu hinterfragen und neue Antworten auf Probleme zu finden. Dieses Event werde ich nie vergessen.