von Antonia Wegner
Es ist Mitte September. Du sitzt in der Sonne und geniesst deine wohlverdienten freien Tage nach deinem ersten Sommer an der ETH. Du versuchst es jedenfalls, denn heute ist der Tag, der dich fast noch nervöser macht als die Basisprüfung selbst – die Resultatmeldung. In den letzten drei Mo- naten hast du hunderte Lernstunden investiert, ungesunde Mengen an Kaffee und Energydrinks getrunken, mehrere Nervenzusammenbrüche er- litten und einige All-Nighter durchgezogen, um jetzt zu erfahren, ob sich all die Mühen gelohnt haben. Angespannt gehst du auf myStudies, at- mest einmal tief durch und öffnest den Leistungs- überblick. Dir fliegt eine Unmenge an Zahlen ent- gegen, doch du realisierst schnell: Prüfungsblock HS 2021: 3.5 – nicht bestanden!
Warum ich?
Berüchtigt ist sie – die Basisprüfung an der ETH. Der Lernstoff eines Jahres wird im Sommer in einem grossen Prüfungsblock abgefragt. Es geht um alles oder nichts. Fällst du durch, besteht frühestens im Winter die Chance es noch einmal zu probieren, und wird es auch ein zweites Mal nichts: Game Over (jedenfalls wenn es gerade keine spe- ziellen Regelungen gibt aufgrund der Pandemie).
Ein Blick auf die Statistiken verschiedener Departements der ETH zeigt, dass durchschnitt- lich etwa 35 Prozent der Studierenden die Basis- prüfung bei ihrem ersten Versuch nicht bestehen. Im grössten Departement der ETH, Maschinenbau und Verfahrenstechnik, waren es im Sommer 2021 sogar über 37 Prozent der Studierenden.
Was passiert, wenn genau du zu diesem Drittel der so hart gearbeitete wie deine Kolleg*innen, deinen gesamten Sommer in stickigen Bibliotheken verbracht und stundenlang über Formeln und abstrakten Theorien gesessen. Du hast dir so viel Mühe gegeben und es ist trotzdem nichts geworden. Gucken wir uns die drei Phasen an, die man nach einem solchen Misserfolg durchläuft:
Fassungslos
Die erste Phase ist der Schock: Das kann doch alles nicht wahr sein! Wut, Verzweiflung und Enttäuschung sind eine vollkommen natürliche Reaktion und auch sehr gut nachvollziehbar. Wer viel Arbeit in etwas steckt, möchte dafür belohnt werden, und misst sich selbst in einem gewissen Mass an seinen Erfolgen.
Doch auch wenn man die Website dreimal neu lädt und seine Eltern und Freund*innen bittet, nochmal einen Blick darauf zu werfen – das Resultat bleibt das gleiche. Wichtig in dieser Phase ist, das grosse Ganze nicht aus den Augen zu verlieren!
Ruhe bewahren
Du kommst als Ersti an die ETH und wirst sofort überladen mit enormen Mengen an neuem Lernstoff und Themen, von denen du noch nie zuvor gehört hast. Die Professor*innen werfen mit Begriffen um sich, von deren Bedeutung du keinen blassen Schimmer hast. Die Tafel ist schneller voll, als du schreiben kannst, ständig werden Konzepte als trivial bezeichnet, die du gar nicht so trivial fin- dest. Dazu kommen die Kommiliton*innen, die so wirken, als ob sie die Übungsserien zur Entspannung lösen.
In der Prüfungsvorbereitungsphase wird es nicht besser, wenn du Berge an Skripts und Zusammenfassungen vor dir liegen hast und ein bisschen panisch Vorlesungen in doppelter Geschwindigkeit nachguckst. Die Uhr tickt und die Tage bis zu den Prüfungen fliessen nur so da- hin, genauso wie deine Energie und Motivation. Das gesamte Basisjahr und die Prüfungsphase sind eine unfassbar anstrengende und zehrende Zeit, in der du alles gibst und auf das Beste hoffst. Das ist auch gut so, aber es verführt auch dazu, den Prüfungen einen Stellenwert zuzuordnen, den sie nicht verdienen. Diese Realisierung und Refle- xion definieren die zweite Phase.
Wenn du die Basisprüfung nicht bestan- den hast, ist deine Zukunft tatsächlich gar nicht so düster, wie es dir im ersten Moment vorkommt. Das wird dir in der dritten Phase ganz klar. Konkret kannst du zwei verschiedene Wege einschlagen. Entweder du bleibst an der der ETH oder du gehst.
hould I Stay or Should I Go?
Nehmen wir an, du bleibst. Möglichkeit eins ist, du versuchst es im Winter noch einmal. Ein erneuter Blick auf die Prüfungsstatistiken zeigt nämlich, dass nur zehn Prozent der Studierenden auch bei einem zweiten Versuch durchfallen. Das zeigt einmal mehr, dass es nicht deine Intelligenz oder dein kognitives Leistungsvermögen sind, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, sondern auch die Art und Weise wie du sie einsetzt. Am An- fang des Basisjahres kommen neue Studierende mit den verschiedensten Hintergründen und mit unterschiedlichen Niveaus an Wissen an die ETH. Das Einzige was alle gemein haben, ist das Inter- esse an Naturwissenschaften. Die ETH ist gleich zu Beginn sehr fordernd und es kann einige Zeit dauern, bis man sich an diese sehr stark leistungs- orientierte Umgebung gewöhnt hat. Zwei Monate Vorbereitung im Sommer sind ein sehr knappes Zeitfenster für die Aufarbeitung der Menge Stoff, mit der man im Basisjahr konfrontiert wird.
Schlauer nach jeder Prüfungsphase
Der Schlüssel zum Erfolg ist, herauszufin- den, wie du am besten und effektivsten lernst. Doch besonders, wenn man das enorme Lernpen- sum nicht gewohnt ist und bei den Lernmassen den Wald vor lauten Bäumen nicht mehr sieht, kann es dauern, bis es wirklich rund läuft. Ist man einmal durch so eine Lernphase gegangen, egal ob erfolgreich oder nicht, nimmt man auf jeden Fall eine Sache mit: Erfahrung. Du weisst besser, welche Lernmethoden für dich funktionieren, wie du deine Zeit einteilst, und dass dich ausreichend Schlaf im Endeffekt weiterbringt als panische All-Nighter. Das gleiche Konzept gilt natürlich auch, wenn man nach dem Basisjahr merkt, dass man zwar an der ETH bleiben möchte, aber den Studiengang wechseln will.
Es lohnt sich abzuwägen
Variante zwei ist, dass du realisierst, die ETH ist nicht der Ort, an dem du am besten aufge- hoben bist. Du schlägst einen vollkommen neuen Weg ein. Auch gut und ganz ehrlich auch verständ- lich. Die meisten Studierenden, egal ob sie die Basisprüfung bestanden haben oder nicht, haben nach dem Sommerblock und knapp zwei Wochen Ferien keine Lust, die ETH wieder zu betreten. Es ist wichtig, reflektiert an die Sache heranzugehen und abzuwägen, ob sich der enorme Aufwand für das, was du erreichen willst, lohnt und die ETH dir wirklich das bietet, was du suchst.
Sie ist nicht zwangsläufig das Nonplusultra und definitiv nicht der einzige Ort, um erfolgreich im naturwissenschaftlichen Bereich tätig zu sein. Menschen, die hart und kontinuierlich arbeiten, finden ihren Weg. Und ob dieser Weg mit einer bestandenen Basisprüfung an der ETH beginnt oder nicht, hat auf einen erfolgreichen Lebenslauf weniger Einfluss, als man denkt.
Antonia Wegner, 20,