von Suban Biixi
Viele Entscheidungen im Leben eines Studieren- den sind vom Sparsamkeitsgedanken geprägt. In Zürcher Clubs findet man am Donnerstagabend fast nur Studis. Der Grund: Der Eintritt ist donnerstags gratis. Und auf dem Hönggerberg trifft man zuweilen Uni-Studierende an, die nur für das günstigere Rice-Up den langen Weg vom Zentrum auf sich nehmen.
Doch was ist, wenn Geld nicht nur die Freizeitgestaltung beeinflusst, sondern zu einer Belas- tung wird? Was ist, wenn das ganze Studium aus finanziellen Gründen auf der Kippe steht?
Lange Wartezeiten auf das Stipendium
Die meisten Studierenden an der ETH Zürich werden von ihren Eltern finanziert. Es gilt: Wer nicht von den Eltern finanziert wird, kompensiert dies mit eigener Erwerbstätigkeit, einem Darlehen oder einem Stipendium.
Im Kanton Zürich erhält ein Stipendium, wer seine Ausbildung weder selbst noch durch die Eltern finanzieren kann. 760 Franken im Monat erhalten Zürcher Stipendienbeziehende im Schnitt. Diese Beiträge dienen lediglich zur Unterstüt- zung und decken nur einen Bruchteil der Lebenshaltungskosten.
Momentan ist der Weg zu einem Zürcher Stipendium jedoch schwierig. Wer sich schon frühzeitig im Juli 21 um sein Stipendium fürs Herbstsemester 21 und fürs Frühlingssemester 22 gekümmert und ein vollständiges Gesuch ein- gereicht hat, wartet im April 22 noch immer auf seinen Bescheid. Die Wartezeit auf die Antwort, ob man nun ein Stipendium erhält oder nicht, beträgt momentan circa acht Monate.
Das sind acht Monate, in welchen Studierende in Ungewissheit und mit einer grossen Planungs- unsicherheit leben. Acht Monate, in denen sich Studierende anderweitig um ihre Lebensfinanzierung kümmern müssen.
Man bedauert die Verzögerung
Eigentlich sollte die Wartezeit maximal siebzig Tage betragen und für das Jahr 2023 sind sogar nur noch fünfzig Tage anvisiert. In einer Sitzung des Kantonsrats nennt die Zürcher Bildungsdirektion als Gründe für die Verzögerung um mehrere Monate die Einführung eines neuen Stipendienrechts und ein starker Anstieg der Gesuche aufgrund der Corona-Pandemie. Die Bildungsdirektion «bedauert, dass es zu diesen Verzögerungen bei der Gesuchsbearbei- tung gekommen ist». Für Sibylle Marti, Zürcher SP-Kantonsrätin, reichen die Ausführungen der Bildungsdirektion aber nicht; sie fordert konkrete Angaben, bis wann das Problem gelöst sein wird. Sie betont, wie wichtig Stipendien für die Chan- cengleichheit seien, um die es in der Schweiz schlecht steht.
Akademiker*innenkinder haben bessere Chancen
Laut dem Schweizerischen Wissenschafts- rat haben Kinder von Akademiker*innen eine circa fünf Mal höhere Chance auf eine akademische Ausbildung. In der Schweiz lässt sich – mehr als in anderen Ländern – der Bildungsweg mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die soziale Herkunft voraussagen. Die wirksamste Massnahme auf Hochschullevel, um dieser sozialen Schere entgegenzuwirken, ist der Ausbau von Stipendien- und Darlehensmöglichkeiten für weniger privilegierte Studierende.
Rund die Hälfte der Kinder von Eltern, die nur die obligatorische Schule besucht haben, stellen einen Stipendienantrag. Der Fakt, dass es in Zürich nun gerade diese unterprivilegierten Studierenden trifft, welche sowieso bereits stark unterrepräsentiert sind in der höheren Bildung – so auch an der ETH –, ist schlicht und ergreifend ungerecht. Ein funktionierendes und verlässliches Stipendienwesen ist zentral für die Schaffung von Chancengerechtigkeit.
Erwerbstätigkeit reicht nicht als Lösung aus
Manch eine*r fragt sich nun möglicher- weise: Wieso können die Studierenden die fehlen- de Unterstützung der Eltern nicht durch Erwerbs- tätigkeit kompensieren? Schliesslich arbeiten schweizweit 73 Prozent der Studierenden neben ihrem Studium.
Erfahrungsgemäss können aber vor allem Bachelorstudierende an der ETH bestätigen: Ein Job, der die Lebenshaltungskosten decken soll, ist neben dem Studium kaum möglich. Auch die ETH selbst rät davon ab: Man solle sich auf das anspruchsvolle Studium konzentrieren.
Stipendienbeziehende geraten durch eine Erwerbstätigkeit zudem in einen finanziellen Teufelskreis. Denn wer mehr verdient, erhält in Zürich weniger Unterstützung. Das heisst Studierende, die eigentlich auf ein Stipendium angewiesen wären, aber bis zum positiven Gesuchsentscheid arbeiten müssen, könnten im folgenden Jahr ihr Anrecht auf ein Stipendium ganz verlieren.
Dies scheint umso besorgniserregender im Wissen, dass laut BfS-Befragung jedem fünften Studienabbruch der Zwang arbeiten zu gehen zu Grunde liegt.
Die persönlichen Folgen sind enorm
Nicht zuletzt löst das Ganze auch auf der persönlichen Ebene der Studierenden etwas aus. Für viele fühlt es sich so an, als wolle man nicht, dass sie studieren. Als wären sie fehl am Platz in einem Studium. Der Frust und die Überforderung durch die finanziellen Fragen und auch der Ver- gleich mit privilegierteren Studierenden wirken als Brandbeschleuniger für das Hochstapler- Syndrom. Dieses Syndrom beschreibt ein Gefühl von stetigen Selbstzweifeln, welches dazu führt, dass man die eigenen Leistungen nicht anerkennt und seinen Platz an der Hochschule in Frage stellt. Unterprivilegierte Studierende sind davon deutlich öfter betroffen.
Trotz des schambehafteten Themas ist es aber wichtig, dass die Betroffenen sich bewusst werden, dass finanzielle Notlagen nicht ihre Schuld sind und sie Unterstützung verdienen.
Suban Biixi, 21, studiert Umweltnaturwissenschaft und ihr ist Gerechtigkeit wichtig, sei es beim Klima oder der Chancengleichheit in der Bildung.