von Anna Heck & Carl von Holly-Ponientzietz
Frage: Es herrscht Krieg in Europa. Neben den humanitären Verwerfungen wird auch der Streit um Ressourcen offensichtlicher: Länder wie die Schweiz sind unter anderem von russischem Gas und Öl abhängig. Stürzt uns das tiefer in die Klimakrise?
Carl: Nicht unbedingt, die Krise könnte auch eine riesige Chance bergen, um sich endgültig von den fossilen Ener- gien loszulösen und massiv auf die er- neuerbaren zu setzen, da es auch um die (Versorgungs-)Sicherheit der Länder geht. Jedoch zeichnet sich diese Ent- wicklung – bis jetzt – nicht ab: Oberste Priorität hat die kurzfristige Beschaf- fung von Gas und Öl aus anderen auto- ritären Ländern wie Katar; die Debatte um den Ausbau der heimischen erneu- erbaren Energien geht leider unter. Wei- terhin wird Putins Krieg mit dem Kauf fossiler Energien weiter mitfinanziert. Wenn man mittel- oder langfristig un- abhängig werden will, braucht es jedoch jetzt greifende Massnahmen.
Anna: Natürlich wird der Drang, von russischem Gas und Öl wegzukommen, nicht zu einer sofortigen Energiewende führen. Kurzfristig wird der Westen wohl oder übel mehr Öl und Gas aus arabi- schen Ländern beziehen müssen. Ich denke, mittel- und langfristig kann man aber davon ausgehen, dass der Krieg zu einer Steigerung der Energiegewinnung von erneuerbaren Quellen führen kann. Es wurde in den vergangenen Wochen der Öffentlichkeit schmerzhaft klar, dass das Prinzip «Wandel durch Han- del», also Länder durch wirtschaftli- che Anreize zur Demokratisierung zu bringen, nicht funktioniert. Daher wird hoffentlich auch die Zwischenlösung, kurzfristig Öl aus arabischen Ländern zu beziehen, von der Öffentlichkeit kriti- scher betrachtet und bleibt somit auch nur eine Zwischenlösung. Deshalb ist es auch realistisch, dass sich der Westen mehr auf die eigene erneuerbare Energiegewinnung konzentriert, wie die Wasserkraft in der Schweiz und Wind- und Solaranlagen in Deutschland.
Frage: Die CO2-Emissionen sind nach einem Fall von 5.4 Prozent im Coronajahr 2020 wieder gestiegen und sind fast wieder auf Rekord- höhe. Können wir die Emissionen langfristig überhaupt senken?
Anna: Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es möglich ist, schnell und unbü- rokratisch Forschung zu finanzieren. Besonders wenn sie diese eine Krise be- kämpft, die uns alle betrifft. Es muss nur der politische Wille da sein. Es ist möglich, dass bestimmte Zweige der Wirtschaft schnell auf andere Produkte umdisponieren. So haben während Corona manche Brauereien und Bren- nereien angefangen, Desinfektionsmittel anstatt Trinkalkohol zu produzieren. Das könnte ein Vorbild für jenen Teil des Energiesektors sein, der fossile Brenn- stoffe verwendet. Ausserdem staunten wir alle, wie viel und wie schnell Forschung zum Sars-Cov-2-Virus betrieben wurde. Würde so viel Geld auch in die Forschung zur Bekämpfung von Treibhausgasemissionen fliessen, so bestünde eine echte Möglichkeit, dass wir bald in einer Null-Emissionen-Gesellschaft leben.
Carl: Es stimmt, dass in der Coronakrise die Emissionen stark gesunken sind. Wir müssen uns jedoch bewusst machen, was es dazu gebraucht hat: ein zum Teil weltweites Erliegen der Wirtschaft und damit auch reduzierten Konsum, wie im Blog svea.com berichtet wird. Die Senkung der Emissionen war aber keinesfalls beabsichtigt, weder von Politik noch Gesellschaft. Es war ein «netter» Nebeneffekt einer Gesundheitskrise, in welcher Staaten und Bürger*innen bereit waren, Verhaltensänderungen und auch Einschränkungen zu akzeptieren. Wenn wir auf die aktuellen Klimade- batten schauen, wird schnell erkenn- bar, dass wir von dieser parteiübergrei- fenden Motivation weit weg sind. Ein Beispiel aus der Schweiz: Obwohl der Verkehr einen Grossteil der Inlandsemissionen verursacht (knapp 40%), wurde erst im März eine Milliardenfinanzierung des Strassennetzes für Autos verabschiedet. Das ist das Gegenteil der Verkehrswende, die zur Erreichung der Klimaziele bitter nötig wäre.
Frage: Warum fehlt der politische Wille, um die notwendigen Veränderungen zum Aufhalten der Klima- krise einzuhalten?
Anna: Das ist eine Generationenfrage. Die gesamte Klimadebatte hat erst in den letzten Jahren so richtig Fahrt auf- genommen und wurde von sehr jungen Aktivist*innen angetrieben. Natürlich gibt es die gesamte politische Bewe- gung schon länger, die grünen Parteien existieren ja auch nicht erst seit 2019. Allerdings waren die Parteien lange klein oder in der Opposition, wie eine Analy- se des Bundesamtes für Statistik zeigt. Gerade in der Schweiz und in Deutsch- land, wo die politische Landschaft in den letzten zwanzig Jahren sehr von bürgerlich und wirtschaftlich liberalen Parteien geprägt wurde, hatten sie kei- ne echte politische Reichweite. Dadurch wurde die Klimakrise auch nur sehr zö- gerlich angegangen. Im Gegensatz dazu ist unsere Generation mit dieser Tatsache aufgewachsen. Seitdem wir die Grundschule besucht haben, und in der Lage waren, Nachrichten zu ver- stehen, haben wir im Wochentakt vom Klimawandel gehört. Nur was wir nicht bemerkt haben, sind ernsthafte Versuche der Politik, etwas zu ändern. Nach dem nun Hunderte Klimaziele verfehlt wurden, wie das Magazin National Geographic 2019 aufzeigte, hat sich ein grosses Mass an Frustration angestaut.
Das wir auch politisch Einfluss nehmen wollen und Druck auf Regierungen aus- üben, hat sich durch die «Fridays for Future (FFF)»-Proteste gezeigt. Diese Generation fängt nun an, erste politi- sche Ämter zu übernehmen, und es ist bereits sichtbar, dass sich das Kräfte- verhältnis verschiebt. Bei den meisten Wahlen der letzten zwei Jahre gingen die grünen Parteien als Siegerinnen her- vor und daher wird sich das politische Tagesgeschäft mehr dem Thema Klimakrise zuwenden.
Carl: Ich denke nicht, dass die Krise auf eine Generationenfrage herunterzubre- chen ist: einerseits gab es schon immer Umwelt- und Klimaaktivist*innen auf der ganzen Welt, wie indigene Völker, Klimasenior*innen und Wissenschaft- ler*innen. Es stimmt zwar, dass junge Menschen im Durchschnitt weniger CO2-Emissionen verursachen, jedoch kann dies nicht auf die breite klima- bewusste Einstellung, sondern schlicht auf die fehlenden finanziellen Mittel zurückgeführt werden, wie der Spiegel aus Studien analysiert hat. Simpel ge- sagt: Wer die Mittel zum Fliegen hat, der fliegt; wer kein Geld hat, bleibt am Boden, unabhängig von der Gene- ration. Selbst wenn die «junge Genera- tion» ökologisch und nachhaltig aus- gerichtet wäre, kann man sich nicht einfach auf diese verlassen: Sie hat viel zu wenig politische Bedeutung und Macht, um ernsthafte Veränderungen herbeizuführen. Und die Klimakrise ist dringlich, ein Abwarten bis sich die Machtverhältnisse verändern, würde zu lange dauern. Zu den politischen Ver- änderungen: Fakt ist, dass zum Beispiel in der Schweiz die Rechts-Mitte-Partei- en das Ruder in der Hand haben, wenn es um politische Macht geht. Weiterhin darf man sich nicht von FFF-Protesten blenden lassen: Wie die Ablehnung des CO2-Gesetzes im Sommer 2021 ge- zeigt hat, ist der Grossteil der Schweizer Wähler*innen noch nicht bereit, für eine klimafreundlichere Welt einzustehen. Dabei war das CO2-Gesetz das absolu- te Minimum und hätte nicht zur Einhal- tung der Klimaziele geführt.
Frage: Wieso so ein Pessimismus? Immer mehr Unternehmen zum Beispiel setzen sich selbst Netto-Null- Ziele und forschen an Lösungen für die Klimakrise. Gibt das nicht Grund zur Hoffnung?
Carl: Man sollte hier aufpassen: Die Net- to-Null-Ziele von Grosskonzernen sind erstens nicht verbindlich und setzen zweitens oft auf grosse CO2-Kompen- sationsprogramme, deren Umsetzung höchst fragwürdig ist. Am grundlegen- den Businessmodel werden sehr selten Veränderungen durchgeführt. Ein gu- tes Beispiel sind die Akteur*innen auf dem Schweizer Finanzplatz, welche von «nachhaltigen» Investitionen reden, jedoch laut dem Fossil Fuel Finance Report 2022 global für ein Zwanzigfaches der Schweizer Inlandsemissionen verantwortlich ist.
Die Forschung kann und muss in Zukunft einiges beitragen, jedoch führt dies nicht zur Problemlösung: Schon heute könnten wir zu hundert Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quel- len, wie Wasserkraft, Wind und Sonne, beziehen, wie die Schweizerische Ener- giestiftung schlussfolgert. Von einer Umsetzung dessen sind wir jedoch weit entfernt. Alle Probleme löst die For- schung aber nicht: Der CO2-Kompen- sation etwa sind physikalische Grenzen gesetzt, und alle Schäden an Umwelt und Menschheit können auch nicht kompensiert werden.
Anna: Es ist wünschenswert, dass Grosskonzerne sich nachhaltig und grundsätzlich ändern. Es gibt Firmen, die tatsächliche Forschung zu klimafreundlichen Alternativen forcieren, im Gegensatz zu jenen, die mehr Symbol- marketing damit betreiben. So wird zum Beispiel an kohlenstoffarmem Stahl und Zement geforscht, zwei Stoffen, die gerade im Bau sehr viele Treibhaus- gase verursachen. Ausserdem werden Fleischersatzprodukte immer besser, weiter verfügbar und billiger, wie SRF im Februar 2022 berichtete. Hinzu kommt, dass diese meist auch lokaler produziert werden, was wiederum Emissionen, die durch den Transport entstehen würden, verringert.
Ausserdem gibt es laut einer Reportage auf mdr.de immer mehr Anlagen, die tatsächlich CO2 aus der Atmosphäre wieder binden, und da- durch den Klimawandel (wenn auch bis jetzt nur minimal), verlangsamen.
Frage: Puh, das war jetzt ganz schön viel auf einmal. Kurz zusammengefasst, wie können wir die Klimakrise noch verhindern?
Carl: Es braucht jetzt enorme gesell- schaftliche Anstrengung und damit verbunden politischen Wandel, um uns in die richtige Richtung zu lenken. Jede*r kann dabei eine Rolle spielen!
Anna: Dito.
Anna Heck, 24, studiert Mathematik und glaubt fest, dass es im Bereich des Möglichen liegt, den Klimawandel aufzuhalten.
Carl von Holly-Ponientzietz, 20, studiert Elektrotechnik und hat Zweifel, dass die Klimakrise ohne viele Opfer bewältigt wird.