Die Auffassungen vom Wort Leidenschaft sind so verschieden wie Leidenschaften an sich. Mit Lei- denschaft konnotieren wir im täglichen Sprach- gebrauch etwas Positives. Wenn wir jemanden als leidenschaftlich bezeichnen, bewundern wir sie*ihn meist dafür. So möchte ich auch bei der Sache sein! Dabei ist Leidenschaft grundlegend betrachtet nur ein Gefühl. Es ist ein Gefühl, das dem Empfangenden Antrieb verleiht, begeis- tert und motiviert. Es geht weit über schlichte Zufriedenheit hinaus. Leidenschaftlichkeit ist Voraussetzung dafür, dass man einer Beschäftigung einen höheren Stellenwert verleiht und sie dadurch selbst zur Leidenschaft wird. Das kann der Beruf, ein Hobby oder sonst eine Beschäfti- gung sein. Aber ab wann ist etwas eine Leiden- schaft? Reicht es, dass es uns so packt, dass wir es stundenlang machen können und es uns trotz- dem so vorkommt, als verginge die Zeit wie im Flug? Könnte also auch das Schauen von Serien als Leidenschaft bezeichnet werden? Das Spekt- rum, wo eine Passion anfängt und wo sie aufhört, ist breit. In diesem Artikel soll aber insbesondere jene Leidenschaft beleuchtet werden, die Aktivi- tät verlangt. Und dazu gehört am Ende nicht nur das leidenschaftliche Gefühl, sondern viel mehr. Bekanntlich sind Gefühle nicht von Dauer, eine Leidenschaft jedoch schon.
Sport als Passion
Jede Art von Leidenschaft bringt ihre eige- ne Welt von Merkmalen mit sich. Besonders im Sport kommt das leidenschaftliche Ausüben Hand in Hand mit einer Portion Schweiss, Aufopferung und Schmerz. Da ist auch das physische Leiden nicht fern. Doch wie wird dieses Leid empfunden und gehört es zur Leidenschaft dazu?
Genau diese Fragen habe ich zwei ehe- maligen Synchronschwimmerinnen gestellt: Lara Mechnig und Marluce Schierscher hatten sich 2020 gemeinsam für die Olympiade qualifiziert.
Für die beiden Sportlerinnen versinnbildlicht Leidenschaft etwas, das sie gerne machen, woran sie Spass haben und das ein Feuer in ihnen ent- facht. Lara betont, es sei etwas, gerade wenn es um Sport geht, bei dem man sich ständig verbes- sern wolle, und alles investiere, um weiterzukom- men. Es erfülle einen so, dass es unbedingt Teil des eigenen Lebens sein muss. Dazu gehöre aber auch, dass man andere Dinge aufgeben muss. Schon dieses Aufgeben sei mit einem gewissen Leiden verbunden, das man dafür in Kauf nimmt.
Beiden ist auch klar: Leid und Leidenschaft, das gehört schon irgendwie zusammen. Im Spit- zensport ist das Leiden der einzige Weg, um bes- ser zu werden. «Man tut sich jeden Tag selber weh, aber es ist ein Schmerz, der einen weiterbringt», ergänzt Lara. Deswegen nimmt sie den Schmerz gerne an und schätzt es sogar, dass ihr Körper ihr erlaubt zu leiden, um weiterzukommen. Auch Mar- luce sagt: «Wenn etwas sehr anstrengend war, hat man sich danach besser gefühlt, weil man wusste, man hat gelitten, um es zu erreichen. Man hat da- für gearbeitet und alles gegeben. Es stellt sich ein Gefühl der Befriedigung ein.»
Gerade im Spitzensport sind Leiden und Verzicht der einzige Weg, um voranzukommen und sich zu verbessern.
Von Leidenschaft zu Masochismus
Bei mir selbst kommt da die Frage auf, ob man masochistisch veranlagt sein muss, um Sport mit Leidenschaft ausüben zu können. «Man muss verstehen, dass Schmerz etwas Gutes ist oder etwas Gutes sein kann und einen weiterbringt», meint Lara dazu. «Wenn ich persönlich Sport ma- che und einen Schmerz spüre, von dem ich weiss, dass er mich weiterbringt, finde ich schon Gefal- len daran.» Sie verknüpft Schmerz und Leid mit etwas Positivem – mit Fortschritt. Darum trifft es der Begriff Masochismus nicht wirklich. Masochis- mus bezeichnet eher ein Gefallen an der mit dem Leid verknüpften Demütigung und Niederlage. Und dies verknüpfen beide nicht mit ihrem Sport.
Leidenschaft im Kleinen
Inzwischen ist Olympia für sie Vergangen- heit. Was nun? «Am Anfang hatte ich wirklich ge- nug davon, auch weil nicht immer alles so super gelaufen ist, aber jetzt fehlt es mir schon», stellt Marluce fest. Synchronschwimmen ist noch im- mer ihre Passion, auch wenn sie dieser nicht mehr professionell nachgeht. «Jetzt kann ich trainieren, wann ich Lust habe. Früher konnte ich nicht ein- fach sagen, ich komme nicht ins Training. Heute denke ich: Ich habe jetzt voll Bock, schwimmen zu gehen! Und dann gehe ich auch.» Sie geniesst die neue Freiheit. Ausserdem muss eine Leiden- schaft nicht das ganze Leben ausfüllen. Leiden- schaften können auch kleine Dinge sein, die uns begeistern.
Fazit
Leid ist oft Teil einer Leidenschaft, ganz besonders im (Spitzen-)Sport. Es steht einer Lei- denschaft jedoch nicht im Weg. Ganz im Gegen- teil: Es kann sie sogar noch verstärken. Dabei ist wichtig, die richtige Beziehung zum Leid zu finden. Doch zuerst sollte jede*r für sich klären: Möchte ich eine bestimmte Leidenschaft haben, oder reicht es mir, ab und zu Leidenschaftlich- keit zu verspüren? Denn im Gefühl selbst ist Leid nicht inkludiert. Schlussendlich ist Passion aber nichts, was man erzwingen kann. Also lassen wir uns überraschen, was als Nächstes Leidenschaft in uns erwecken wird!