von Lukas Valentin Graf
Die Hexenverfolgung ist wohl eines der düstersten Kapitel der Geschichte der Eidgenossenschaft. Historiker*innen schätzen, dass zwischen dem ausgehenden Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein bis zu 6 000 Menschen der Hexenverfolgung zum Opfer fielen. Das «Historische Lexikon der Schweiz» geht gar von bis zu 10 000 Hexenprozessen aus. Bei den Beschuldigten handelte es sich mehrheitlich um Frauen – meist von den Rändern der Gesellschaft. Vorgeworfen wurde den Angeklagten etwa das Ausführen von «Schadzaubern» an Menschen und Tieren, «Verführung durch den Teufel» oder aber auch Häresie, also Ketzerei. Frauen waren zudem dem Vorwurf der Kindstötung ausgesetzt, wenn ein Neugeborenes verstarb. Insbesondere dieser Vorwurf konnte leicht aufgebracht werden, da die Säuglingssterblichkeit aufgrund desolater hygienischer Zustände und mangelnder medizinischer Versorgung hoch war.
Die der Hexerei angeklagten Frauen (und wenigen Männer) wurden oftmals brutalen Foltermethoden ausgesetzt, um sie zu Geständnissen zu zwingen. Die Beschuldigten wurden in den meisten Fällen zum Tode verurteilt und starben entweder durch Enthauptung mit dem Schwert oder wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Sonderfall Schweiz
Die Hexenverfolgung war nicht allein auf die Schweiz beschränkt. Gemäss der Historikerin Kathrin Utz Tremp begann die Hexenverfolgung in der Schweiz jedoch früher und endete später als in den benachbarten Regionen. Die religiöse Zersplitterung der Eidgenossenschaft in reformierte und katholische Landesteile sowie die mangelnde politische Zentralisierung habe die Verfolgung begünstigt, so die Historikerin. Anders als in Frankreich fehlten durchsetzungsstarke staatliche Institutionen, und die durch die Reformation ausgelösten Verwerfungen führten teils zu religiöser Orientierungslosigkeit.
Die Suche nach Schuldigen
Insbesondere ab 1580 war eine Intensivierung der Hexenverfolgung zu beobachten. Der Historiker Philipp Bloom bringt dies in Zusammenhang mit der «kleinen Eiszeit», welche eine bis 1700 andauernde Veränderung der klimatischen Bedingungen hin zu kaltem, nassem Wetter verursachte. Bloom vermutet, dass die drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen durch kalte Sommer und lange Winter die Menschen nach Schuldigen habe suchen lassen. Hatten die Herrschenden in früheren Jahren Hexenprozesse noch unterbunden, waren sie angesichts des wachsenden Unmutes der Bevölkerung ein willkommenes Mittel, um den Zorn und die Angst der Bevölkerung zu kanalisieren und gegen die Schwächsten der Gesellschaft zu richten.
Inquisition und weltliche Gerichte
So verwundert es denn auch nicht, dass die Hexenverfolgung alle Landesteile der Schweiz erfasste und in allen Konfessionsgruppen auftrat. In der Westschweiz, im Kanton Waadt, war die Hexenverfolgung besonders intensiv. Dort hatte im Zuge der Waldenserverfolgung – einer vor-reformistischen Glaubensgemeinschaft – und den darauffolgenden Prozessen in Freiburg zwischen 1399 und 1430 die katholische Kirche die Inquisition eingerichtet, welche sich in den folgenden Jahren der Hexenverfolgung zuwandte. Ein weiteres Zentrum der Hexenverfolgung war Graubünden, wo die Zersplitterung der Gerichtsbarkeit für die hohe Opferzahl (laut «Historischem Lexikon der Schweiz» bis zu 1000 Prozesse) verantwortlich gemacht wird. In den reformierten Gebieten gab es zwar keine kirchliche Inquisition, was aber nicht bedeutet, dass keine Hexenprozesse abgehalten worden wären. So gehen Historiker*innen von etwa 80 Hexenprozessen in Zürich aus. Dabei war es nicht nur die Kirche, welche diese durchführte. Ab der frühen Neuzeit übernahmen zunehmend säkuläre, also staatliche Institutionen die grausame Aufgabe.
Die letzte Hexe
Das letzte Opfer der Hexenverfolgung war im Kanton Glarus zu beklagen. Am 13. Juni 1782 wurde Anna Göldi durch das Schwert hingerichtet und erlangte traurige Berühmtheit als «letzte Hexe Europas». Göldi war Magd des Glarner Landammanns Jakob Tschudi. Nachdem ihr erstes Kind im Säuglingsalter verstorben war, war sie bereits einmal in den Verdacht der Kindstötung gekommen. Im Hause Tschudi wurde ihr das Schicksal der achtjährigen Tochter zum Verhängnis: Das Kind erbrach nach Anklageschrift Stecknadeln, woraufhin Tschudi Anklage gegen Göldi erhob. Diese lebte zum Zeitpunkt der angeblichen Tat zwar nicht mehr bei der Familie Tschudi, welche sie bereits zwei Wochen zuvor nach einem Zwischenfall mit Stecknadeln in der Milch der jüngeren Tochter hatte verlassen müssen. Dennoch reichte dies aus, um Anna Göldi als Hexe zum Tode zu verurteilen.
Erst im Jahre 2008 wurde Anna Göldi offiziell rehabilitiert. In Enneda im Kanton Glarus steht heute sogar das «Anna Göldi Museum», welches die Hexenverfolgung in der Schweiz für Interessierte zugänglich macht.
Lukas Valentin Graf, 27,
kannte Hexen eigentlich nur aus Kinderbüchern. Mit dem Wissen über die Grausamkeit der historischen Hexenverfolgung sieht er Hexengeschichten für Kinder nun mit anderen Augen.